Wer qualifiziert hier?

Im Gespräch mit Lilian Masuhr

Portrait von Lilian Masuhr vor einer Wand
Lilian Masuhr. Foto: Andi Weiland

Lilian Masuhr ist Moderatorin, Autorin und Leiterin der Sozialheld*innen Akademie in Berlin. Sie war Mitgründerin des Projekts „Leidmedien.de – Über Menschen mit Behinderungen berichten“ und gibt Workshops und Podiumsdiskussionen zu Themen wie Vielfalt in den Medien, barrierefreie Kommunikation und inklusive Veranstaltungsplanung. In Kooperation mit den Sozialheld*innen bietet die Grimme-Akademie das Seminar „Medienarbeit inklusiv“ an.

1. Von Grimme-Akademie an die Sozialheld*innen-Akademie gefragt: Wieso habt ihr eine Akademie gegründet und was macht Euch aus?

Seit fast zwanzig Jahren versuchen wir den Austausch und die Begegnungsmöglichkeiten zwischen Menschen mit und ohne Behinderung zu verbessern, zum Beispiel über unsere Projekte Wheelmap oder JOBinklusive. Dem zugrunde liegt vor allem ein Bewusstsein für die Diskriminierung von behinderten Menschen (Ableismus) und die Bereitschaft, die Kommunikation zu verbessern. Irgendwann haben wir gemerkt, dass der Austausch in Workshops, Seminaren und Beratungen und damit die direkte Begegnung von Menschen mit und ohne Behinderungen einen größeren Effekt haben, als nur ein Nachschlagewerk wie Leidmedien.de zur Verfügung zu stellen. Daher haben wir 2019 die Sozialheld*innen-Akademie gegründet und begleiten seitdem Medienhäuser, Unternehmen, NPOs und auch Einzelpersonen dabei, das Konzept des „Disability Mainstreamings“ (Menschen mit und ohne Behinderung überall mitzudenken und einzubeziehen) in der Zusammensetzung des Personals, Programms und Produkten zu verwirklichen.

2.   Wir bieten ja gemeinsam mit euch das Seminar „Medienarbeit inklusiv“ an. Warum sollte eine TV-Produktionsfirma ihre Volos zum Seminar anmelden?

Wenn im Fernsehen Geschichten über Menschen erzählt werden, ist es wichtig, die verschiedenen Perspektiven zu verstehen und einen authentischen Einblick in ihre Lebenswelten zu geben. Gerade die Sicht von Menschen mit Behinderungen ist oft ein Mysterium, da sie in Deutschland meistens noch getrennt von Menschen ohne Behinderung lernen, arbeiten und leben. Somit sind Menschen mit Behinderung entweder nicht in den Medien sichtbar oder häufig auf eine Weise, die von Unsicherheiten und Vorurteilen geprägt ist. Im Seminar werden Begriffe über Behinderung und klischeehafte Bildsprache hinterfragt und praktische Tipps gegeben, damit eine realistische Darstellung gelingt.

3.   Wie weit sind, deiner Meinung nach, deutsche Medien in puncto Inklusion und Barrierefreiheit auf einer Skala von 1-10?

Die Berichterstattung hat über die letzten Jahre enorme Fortschritte gemacht, was die Sichtbarkeit von behinderten Menschen betrifft. Sie werden vermehrt zu Interviews eingeladen (statt, dass nur über sie gesprochen wird), treten auch mal als Moderator*innen auf und sind Protagonist*innen in Filmen. Wichtig dabei ist zu schauen, in welchen Kontexten Behinderung besprochen wird – ob nur im Bereich Gesundheit oder auch z.B. Kultur und Politik. Weit entfernt sind wir noch davon, dass behinderte Menschen wirklich im Mainstream vorkommen, also dass ihre Behinderung gar kein Thema des Films oder der Sendung ist.

Die Barrierefreiheit von TV-Programmen ist bis heute nicht überall gegeben. Mit dem Projekt „TV für alle“ machen wir die Programme sichtbar, die bereits Untertitel und Audiodeskription anbieten. Da ist deutlich Luft nach oben, wenn man bedenkt, dass mit zunehmendem Alter mehr Behinderungen, wie eingeschränktes Hör- und Sehvermögen, auftreten und die größte TV-Zuschauer*innenzahl aus der Gruppe der über 60-jährigen kommt.

4.   Im Fernsehen sieht man bei öffentlichen Veranstaltungen in anderen Ländern, meist Gebärdensprachdolmetscher*innen neben Politiker*innen stehen. Sind wir da in Deutschland Schlusslicht?

Das Bewusstsein für die Bedeutung der Gebärdensprache ist auch in Deutschland gestiegen, die Umsetzung wird jedoch weiterhin meist nicht geleistet. Wichtig zu verstehen ist, dass die Gebärdensprache eine Muttersprache für gehörlose Menschen ist und somit Untertitel für die Übersetzung nicht immer reichen, weil nicht immer Kompetenz in der deutschen Schriftsprache vorhanden ist. Gehörlose Menschen wünschen sich, dass mehr Veranstaltungen von Dolmetscher*innen für Gebärdensprache begleitet werden und auch mehr TV-Programme in Gebärdensprache gezeigt werden. Laut der UN-Behindertenrechtskonvention haben sie ein Recht darauf, den Zugang zum allgemeinen TV-Programm zu erhalten. Das Recht wird ihnen aber immer noch viel zu selten in Deutschland gewährt. 

5.   Die technischen Möglichkeiten schreiten schnell voran und es gibt viele Möglichkeiten barrierearme Angebote zu machen. Habt ihr schon konkrete Ideen, ob und wie künstliche Intelligenz dazu beitragen kann?

Künstliche Intelligenz kann dazu beitragen, dass Bilder im Internet vermehrt mit Alternativtexten bereitgestellt werden und damit für sehbehinderte und blinde Menschen zugänglich werden. Das gibt es schon heute, nur ist der Output noch nicht ganz entwickelt, Bilder werden noch nicht sehr genau beschrieben (Beispiel: „Foto von Himmel, Person“). Das Gleiche gilt beispielsweise für Podcasts und Filme, die in Zukunft mit verbesserter Algorithmik Transkriptionen anbieten könnten. Das Prinzip des Open Source kann dazu beitragen, dass stetig Angebote der künstlichen Intelligenz verbessert werden, sodass die Übersetzungsleistung auch für behinderte Menschen ausreichend gut ist. Jedoch birgt KI auch die Gefahr in sich, dass Behinderung gar nicht oder falsch dargestellt wird. Wie kurios das in der Praxis aussehen kann, haben wir in unserem Online-Magazin „Die Neue Norm“ anhand von Bildgeneratoren beschrieben.

6.   Was denkst du? Wie lange müssen wir noch ein Seminar zu inklusivem Arbeiten in den Medien anbieten?

Solange die Berichterstattung über Menschen mit vielfältigen Merkmalen noch kein Standardmodul in der Ausbildung von Journalist*innen ist, ist eine Fortbildung meines Erachtens notwendig, um eine authentische Darstellung zu schaffen. Darüber hinaus kann eine Fortbildung zu dem Thema weiter interessant sein, da Sprache dynamisch ist und sich natürlich auch Begriffe über den großen Bereich „Behinderung“ (motorisch, mental, psychisch, sehen, hören etc.) verändern. Da Sprache und Bilder das Bewusstsein prägen und wir in Deutschland keine wirkliche Möglichkeit einer Partizipation aller innerhalb einer inklusiven Gesellschaft erleben, wird es wohl noch lange notwendig sein, über diese Bilder in den Köpfen im Seminar der Grimme-Akademie zu sprechen. Zudem sollten auch Redaktionen und Produktionsfirmen daran arbeiten, dass mehr Menschen mit Behinderungen bei ihnen arbeiten, weil sich damit das ein oder andere Seminar erledigen würde, wenn man ein inklusives Miteinander jeden Tag lebt.

7.   Welches Seminar unserer Reihe „Qualifizierung kompakt“ würdest du selbst gerne einmal besuchen?

Das Seminar „Social und Cross Media in der Praxis“ würde mich interessieren, weil ich mich für neue Medien-Formate interessiere und dabei gerne auf dem neuesten Stand der Möglichkeiten bin. 

Das Interview ist erstmalig erschienen im grimme-Jubiläumsheft zum 50. Geburtstag des Grimme-Instituts im September 2023.